gegenüber "du weißt zu viel," entgegnete mir der arzt. er stand enthüllt vor mir - wie ein schuljunge, der im sand spielt und dabei die zeit vergißt. ich sehe ihn noch genau vor mir. eine rote plastikform in der rechten hand, die linke berührt kurz sein lautes lachen, so beglückt die welt erobert zu haben. seine sandburg umringt von flutendem wasser. und er, der könig, herrscher über die tugenden der menschheit. "du solltest aufhören nach büchern zu leben," spricht er und verweist dabei auf sich selbst zurück. "es ist gefährlich – man kann sich sehr schnell verlieren." der kleine junge betrachtet die runde form in seiner hand und läßt sie auf den spröden boden fallen. er schämt sich doch nicht etwa für seine werkzeuge...! er wirft mir noch einen verwegenen blick zu, dreht sich dann um und kniet nieder. ich sehe, wie er eine brise sand zwischen zwei fingern hindurch auf die spitze des daches streut. ein kreuz. "ich wußte doch, daß er einen glauben besitzt", denke ich verschmitzt. ich beobachte ihn in seiner arbeit versunken und stelle mir vor, wie ein heiliger vor ihn tritt und dessen hand sanft auf des königs haupt gleitet. in diesem moment ertönt ein erleichternder seufzer aus dem mund des knienden. alles bricht heraus, was er im laufe seiner herrscherzeit in sich verborgen hielt. er fällt in sich zusammen, aber weiß, daß dieser tod nur von kurzer dauer ist. ich erkenne ihn: den jungen, der könig wurde und im hohen alter entdeckte, daß er vergaß ein junge zu sein. "7 jahre lang blickte ich in fremde augen,"‘ erzählte mir der arzt, kurz bevor ich ging. "den spiegel nenn ich noch immer mein eigen." ich übernahm sein lächeln und mußte daraufhin lauthals lachen.
november ich lag noch im bett, als die klingel schrill ertönte. wie ein scharfer pfeil durchschoß der klang meine ohren. ich erwartete niemanden. trotzdem pochte mein herz lebendiger und mein magen glich einem überfüllten schmetterlingsnetz. „ich muß verliebt sein,“ erklärte ich mir mein befinden. die letzten monate über war ich daran gewöhnt, kurz vor dem weckerklingeln dem schlafe zu entfliehen. heute hatte ich wohl den wecker im traum entwaffnet. als gegenreaktion traf mich nun dieses von außen eindringende klingelgeräusch mitten ins herz. „ ja,“ versicherte ich mir, „ich muß wohl verliebt sein.“ das gefühl war mir nicht unbekannt – unzählige male hatte sich ein zauberregen über mich gelegt. mit ausgestreckten armen und einem nicht überschminkten lächeln tanzte ich große kreise unter den wogen dieses nicht zu zügelnden meeres. schließlich warf ich mich kopfüber in die fluten des naß, um mich vollkommen in ihnen aufzulösen. kurz bevor ich das paradies erreicht hatte, stieß ich noch einen schrei aus, der bis jupiter vordrang und die ganze welt mit vibration umarmte. wie jede verzauberte prinzessin verlor ich auch diesmal wieder meine armbanduhr in den tiefen des ozeans, und das wohltuende bad wurde zu einem spiel mit der zeit. irgendwann tauchte ich auf und es war nacht. da stand ich nun einsam am ufer und die flut war nur noch ebbe. langsam beugte ich mich nieder und mit einem finger zeichnete ich ein fragezeichen tief einschneidend in den sand. ich saß da und wartete. „die nächste flut wird bald kommen,“ wußte ich. doch ich irrte mich. mein kummer wurde von einer unaufhaltbaren müdigkeit betäubt und ich fiel in einen tiefen schlaf. noch immer lag ich im bett, meinen körperreaktionen lauschend. blut wie champagner durchströmte angeregt meinen körper. mein herz tänzelte noch immer rhythmisch laut pochend. als ich ein zweites klingeln vernahm, hielt ich den süßen atem an. sanft entfernte ich verschlafene sandkörner aus meinen augen. dann stand ich auf und öffnete die tür.
blut - binde - lippen - ungeheuer - grotte - unkenrufe - kater - erde
"hier,
nimm das fernrohr! da drüben..siehst du die rote tanne, rechts neben dem
alten wasserturm?
ja, genau da. schau genau hin und sage mir, was dir auffällt."
- "nun, sie ist rot. noch nie habe ich so eine rote tanne gesehen. nicht
nur die nadeln sind rot eingefärbt, auch der stamm und die wurzeln. selbst
die krone. ich glaube, sie blutet. ihr ganzer körper ist in blut getränkt.
sie möchte ihre schmerzen der welt zeigen. aber die welt reagiert nicht,
sitzt da, zurückgelehnt, ein bein über das andere geschlagen - ich
sehe die welt genau vor mir. der blick liegt starr hinter einer festgezerrten
augenbinde. sie verhindert die sicht."
nachdenklich löst du den blick von dem glas der ferne. deine augen nähern
sich mir, halten sich fest an der röte meiner lippen. ich lache auf. meine
zähne wie die eines ungeheuers, durchbrechen das sanfte rot auf und zu.
ich stelle mir vor, wie du in die dunkle grotte meines mundes eintauchst. betäubter
sinne lässt du dich treiben bis auf den goldenen grund. und reißt
mein atem wellenden saft bis hoch auf die spitze des gaumens - doch gleitest
geschmeidiger wogen der schaukel des lebens gleich.
"was ist los?", verwirrt blickst du mich an.
leise berühre ich deine lippen. "horche..! hörst du die schreie
in der ferne? schreie wie unkenrufe, ähnlich dem jammern eines säuglings."
du schließt die augen und lauschst: "ich sehe die rote tanne! aber
sie ist nicht alleine. ein schwarzer kater. er wetzt seine tatzen an ihrem leib,
stärkt sich für seinen nächsten kampf. aber er weiß nicht
um ihrer hilflosigkeit. die tanne schreit gnade und weint blutige tränen
zur erde. und trinkt ihr eigenes leben."
ich puste dir zarten atem über das haar.
"aber sie ist stark. der vorbeiziehende wind ist ihr freund."